Bozen, Göttingen, Berlin, 5. September 2007
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am
Mittwoch an Bundeskanzlerin Angela Merkel appelliert, das Konzept
der Bundesregierung zum zivilen Wiederaufbau Afghanistans
nachzubessern. "Mit einigen neuen Polizei-Ausbildern wird der
Wiederaufbau in Afghanistan nicht gerettet", hieß es in dem
Schreiben der GfbV an die Kanzlerin. Es sei beschämend
für die vor allem von Deutschland betriebene Polizeireform,
wenn die Zivilbevölkerung die Polizisten nicht als Schutz,
sondern als Bedrohung empfinde. So lange Polizisten sogar in
Kabul marodierten und ganze Stadtviertel in Angst und Schrecken
versetzten, so lange Korruption, Vetternwirtschaft und
Willkür bei den Sicherheitskräften verbreitet seien,
könne von einem gelungenen Projekt des Wiederaufbaus keine
Rede sein. So fehle es an Strukturen zu einer wirksamen
Überwachung der Polizei, die sicherstellen, dass
Willkür, Machtmissbrauch und Straftaten von
Sicherheitskräften geahndet werden.
Angesichts der eskalierenden Sicherheitslage würden immer
mehr Polizisten eingestellt, die in Schnellkursen nur
unzureichend auf ihren Dienst vorbereitet werden, kritisierte der
GfbV-Asienreferent Ulrich Delius. Auch seien bei ihrer
Einstellung oft nicht fachliche Kriterien entscheidend, sondern
Warlords, Gouverneure und Regierungsvertreter würden immer
wieder Posten nach Gutdünken mit Männern ihres
Vertrauens besetzen. Ethnische Abstammung würde dabei oft
nicht berücksichtigt, so dass in dem Vielvölkerstaat
weitere Konflikte zwischen ethnischen Gruppen geschürt
würden. So könne kein glaubwürdiger Rechtsstaat
aufgebaut werden.
Als "Armutszeugnis der internationalen Gemeinschaft" bezeichnete
es die GfbV, dass es sechs Jahre nach dem Sturz der Taliban
außerhalb Kabuls noch immer kaum Zeichen des Wiederaufbaues
gäbe. In den ländlichen Gebieten Afghanistans fehle es
auch heute noch am Nötigsten: Frisches Wasser, Land, Arbeit
und Sicherheit! Angesichts des schleppenden Wiederaufbaus seien
2,1 Millionen Afghanen im Jahr 2006 aus ihrer Heimat geflohen.
Wenn der Wiederaufbau nicht schneller und glaubwürdiger
vorangetrieben werde, drohten ein noch größerer
Flüchtlingsexodus und ein weiteres Vordringen der
Taliban.