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Türkei: Referendum über Verfassungsreform (12. September)

Mögliche Verfassungsreform ignoriert Kurdenfrage - Regionale Selbstverwaltung für Südosten der Türkei gefordert

Bozen, Göttingen, 9. September 2010

Verlassenes Dorf in Kurdistan. Verlassenes Dorf in Kurdistan.

Als ersten Schritt zur Etablierung eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates begrüßt die Gesellschaft für bedrohte Völker International (GfbV) den von der türkischen Regierungspartei AKP vorgelegten Vorschlag für eine Reform der Verfassung der Türkei. Gleichzeitig bedauert die Menschenrechtsorganisation jedoch, dass die Kurdenfrage als zentrales Problem der Türkei darin nicht gelöst wird. "Immerhin kann mit der Verfassungsreform das autoritäre Erbe des Türkei-Gründers Kemal Atatürks, das soviel Leid über die nichttürkischen Volksgruppen gebracht hat, ein Stück weit bewältigt werden", sagt der Präsident der GfbV International, Tilman Zülch.

Der Menschenrechtler erinnert daran, dass unter Atatürk während des berüchtigten Bevölkerungsaustausches allein 1,2 Millionen ionische und thrakische Griechen aus dem Land gejagt wurden und in der Stadt Smyrna, dem heutigen Izmir, 100.000 Griechen und Armenier ihr Leben ließen. Atatürk hatte außerdem während seiner Alleinherrschaft drei kurdische Aufstände niedergeschlagen, bei denen Zehntausende Kurden getötet und mehrere hunderttausend Angehörige dieser Volksgruppe innerhalb der Türkei zwangsumgesiedelt wurden.

Der für den kommenden Sonntag zur Abstimmung gestellte Verfassungsvorschlag der AKP sieht unter anderem Paragraphen zur stärkeren demokratischen Kontrolle von Justiz und Militärführung vor. Bisher können Generäle, autoritäre kemalistische Parteien und Richter Menschen- und Bürgerrechte der Bevölkerung jederzeit außer Kraft setzen. Die Verfassungsreform wird deshalb auch von vielen Bürger- und Menschenrechtsbewegungen sowie von unabhängigen Journalisten in der Türkei begrüßt. Diese gehen allerdings davon aus, dass später weitere Reformschritte erfolgen müssen. Die bedeutendste Kurdenpartei BDP ruft jedoch zum Boykott des Referendums auf.

"Nur durch eine föderale Verfassung nach bundesdeutschem Vorbild oder die Schaffung regionaler Autonomien nach spanischem Modell könnte die Integration der 15 Millionen Kurden in der Türkei gelingen und die Verfolgung und Unterdrückung dieser und anderer Volksgruppen endlich beendet werden", erklärte Zülch. "Unsere Menschenrechtsorganisation weist noch einmal darauf hin, dass auch in der heutigen Türkei unter der Herrschaft Erdogans noch immer über 7.000 Kurden, darunter 3.000 Kinder und Jugendliche, als politische Gefangene inhaftiert sind, im Südosten des Landes, dem Hauptsiedlungsgebiet der Kurden, keine einzige kurdische Schule existieren darf, mehr als 3.876 von der Armee zerstörte kurdische Dörfer in Trümmern liegen und sogar türkische Intellektuelle wegen ihrer Publikationen zu kurdischen Themen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden."