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Indigene Völker der russischen Arktis

Pandemie und Permafrost gefährden ganze Gemeinschaften

Bozen, Göttingen, 30. Juli 2020

Nenzen bei Dudinka, Taimyr, Krasnoyarsk, Russland. Foto: Dr. A. Hugentobler CC BY-SA 3.0. Nenzen bei Dudinka, Taimyr, Krasnoyarsk, Russland. Foto: Dr. A. Hugentobler CC BY-SA 3.0.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist in großer Sorge über den Rohstoffabbau in der Arktis, Sibirien und dem Fernen Osten Russlands, der trotz der Gefahren der Klimaerwärmung rapide zunimmt. Tauende Permafrostböden machten die Infrastruktur aus Tanks und Pipelines zu einer kaum zu kontrollierenden Gefahr. Zudem brächten die oft wechselnden Belegschaften auf Baustellen und Öl- und Gasförderanlagen das Coronavirus in die abgelegenen indigenen Gebiete. "Der russischen Regierung sind die Rohstoff-Devisen in der Region offensichtlich wichtiger als das Überleben der oft verarmten Menschen dort", erklärt Yvonne Bangert, GfbV-Referentin für indigene Völker. "Die Situation ist für die indigenen Völker dort extrem gefährlich. Die medizinische Versorgung wurde in den letzten Jahren stark zurückgefahren. Der Ausbreitung des Virus stand kaum etwas im Wege." In eilig errichteten Feldlazarette verbreiteten ungeschützte Pflegekräfte das Virus weiter. "Die Indigenen können sich kaum noch mit Nahrung versorgen, denn durch Quarantäneregelungen erreichen sie ihre traditionellen Jagd- und Fischgründe nicht mehr. Auch der Tauschhandel liegt durch die Mobiltätseinschränkungen brach", so Bangert.

Der Klimawandel führt schon jetzt zu Umweltkatastrophen, zumal mit Umwelt- und Sicherheitsstandards offenbar lax umgegangen wurde. Erst am 29. Mai dieses Jahres war ein Dieseltank des Rohstoffunternehmens Norilsk Nickel geborsten und hatte weiträumig Gewässer verseucht, von denen die ansässigen Fischer der indigenen Nenzen und Dolganen abhängig sind. Da die Permafrostböden mit fortschreitendem Klimawandel weiter auftauen würden, seien immer mehr Unfälle dieser Art zu erwarten. Es sei ein gutes Signal, dass die Deutsche Bank kürzlich angekündigt hat, keine Öl- und Gasförderprojekte in der Arktis mehr zu finanzieren. "Dem muss sich jetzt die Erkenntnis anschließen, dass die Ausbeutung der Rohstoffe in diesem fragilen Ökosystem immer mit massiven Risiken belastet ist", ergänzt Bangert. "Diese Risiken treffen vor allem die Indigenen, deren Lebensweise seit Jahrtausenden auf dieses Ökosystem ausgerichtet und ebenso fragil ist."

Das russische Indigenen-Netzwerk Aborigen Forum, in dem 42 unabhängige Fachleute, Führungspersonen und indigene Organisationen aus 21 Regionen der russischen Arktis, Sibiriens und des Fernen Ostens zusammengeschlossen sind, berichtet unterdessen von zunehmenden Coronavirus-Ausbrüchen im Umfeld von Öl- und Gasförderanlagen. Allein im Arbeitercamp einer Flüssiggas-Einrichtung des Novatek-Konzerns nahe des Dorfes Belokamenka im Bezirk Murmansk waren am 11. Mai offiziell 2.045 Infizierte registriert, im Bezirk lebten insgesamt 2.416 Infizierte. Die GfbV hatte bereits im April über einen beginnenden Ausbruch auf einer Baustelle in derselben Region berichtet. Novatek baut dort eine Fabrik, die Bohrplattformen für die Erdgasförderung im Eismeer herstellen soll.

Vor einem Monat hat die GfbV einen umfassenden Report über indigene Völker der Arktis im Spannungsfeld zwischen Klimawandel und Rohstoffboom veröffentlicht. Den Report können Sie hier (www.gfbv.de/fileadmin/redaktion/Reporte_Memoranden/2020/Arktisreport062020_Endversion.pdf) herunterladen.