Bozen, Göttingen, 2. November 2007
Nach den Drohungen von Armee und Regierung der Türkei
gegen den friedlichen irakischen Bundesstaat Kurdistan fordert
die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die
Einberufung eines internationalen Tribunals zur Untersuchung der
Kriegsverbrechen von türkischer Armee und PKK in den
vergangenen zwei Jahrzehnten. Ohne die gnadenlose
Unterdrückung und Verfolgung der heute etwa 15 Millionen
Kurden in Südostanatolien durch Regierung und Armee der
Türkei seit Ende des Zweiten Weltkrieges, hätten sich
dort statt der totalitär strukturierten Kurdischen
Arbeiterpartei (PKK) kurdische demokratische Institutionen,
Parteien, Gewerkschaften, Verlage und Medien entwickeln
können. Doch deren Entstehung hätten Armee und
Regierung mit Inhaftierungen, Folterungen und Morden an
kurdischen Intellektuellen systematisch verhindert.
"Ein internationales Tribunal muss jetzt den Tod von 37.000
türkischen Staatsbürgern, davon 6.000 türkischer
und 31.000 kurdischer Nationalität, aufklären",
forderte der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch. Dabei
werde sich herausstellen, dass sowohl die türkische Armee
als auch die PKK für Kriegsverbrechen an Zivilisten und
Gefangenen verantwortlich waren. Dieses Tribunal hätte auch
zu klären, warum bis heute 3.835 wirkliche oder angebliche
kurdische Widerstandskämpfer oder -unterstützer, davon
1719 ohne Gerichtsurteil, meist schon seit mindestens zehn Jahren
inhaftiert seien, während kein einziger Angehöriger der
türkischen Streitkräfte sich wegen Verbrechen gegen die
Menschlichkeit in Haftanstalten befindet. Ebenfalls zu
untersuchen wäre die Zerstörung von 3.876 kurdischen
Dörfern und die innerstaatliche Flucht und Vertreibung von
etwa zwei Millionen kurdischen Einwohnern Südostanatoliens
durch die türkische Armee.
Feststellungen eines solchen internationalen Gerichtshofes
würden die türkische, aber auch die internationale
Öffentlichkeit mit dem ganzen Ausmaß der
Kurdenverfolgung in der Türkei der vergangenen 80 Jahre
konfrontieren, erklärte Zülch. Dazu gehörten auch
die drei genozidalen Vernichtungen kurdischer Bevölkerung
durch den türkischen Führer Kemal Atatürk bei der
Niederschlagung der kurdischen Aufstände - von Sheik Sait in
der Region um Diyarbakir (1925), am Ararat (1930) und um
Dersim/Tunceli (1937) - mit insgesamt mehreren Hunderttausend
Toten, einer halben Million in die Westtürkei Deportierten
und Giftgaseinsatz in Dersim.
Die GfbV appelliert an Parteien, Regierung und Armee der
Türkei, aber auch an türkische Institutionen in der
Bundesrepublik und deutsch-türkische Mitglieder des
Europäischen Parlaments wie Vural Öger und Cem
Özdemir, sich den Fakten der türkischen
Kurdenverfolgungen und Vernichtungen öffentlich zu stellen,
sie zu verurteilen und sich für die absolute
Gleichberechtigung der kurdischen Bevölkerung in
Türkisch- Kurdistan einzusetzen. Erst dann werde die
Verurteilung und Überwindung der totalitären Praxis der
PKK glaubwürdig, sagte Zülch. Die aktuellen
türkischen Drohungen gegen den irakischen Bundesstaat
Kurdistan, der sich zu einem Modell für das Zusammenleben
verschiedener Nationalitäten und Religionsgemeinschaften
entwickelt, würden sich erübrigen.