Bozen, Göttingen, 29. November 2007
Die Verschleppung des
syrisch-orthodoxen Abtes des Klosters St. Jakob, Daniel Savci
(43), am Mittwoch im Südosten der Türkei erfüllt
die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in
Göttingen mit großer Sorge. "Die Entwicklung, dass auf
die wenigen geistlichen Würdenträger der christlichen
Kirchen in der Türkei in gerade in jüngster
Vergangenheit immer wieder gezielt Mordanschläge,
Bombenattentate oder Überfälle verübt und einige
von ihnen Opfer von Entführungen wurden, erschüttert
uns nicht nur in jedem Einzelfall, sondern sie ist auch ein
Alarmzeichen für die Zukunft der wenigen noch in der
Türkei ansässigen Christen", erklärte der
GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch am Donnerstag in
Göttingen. "Als Menschenrechtorganisation, die sich für
die Rechte der Muslime in Deutschland einsetzt, beklagen wir die
jahrzehntelange und bis heute andauernde Diskriminierung,
Unterdrückung und Verfolgung der christlichen
Religionsgemeinschaften in der Türkei. Es ist skurril, dass
die Türkei international als säkularer Staat bezeichnet
wird, wenn Christen dort bekämpft werden und der sunnitische
Islam als politisches Instrument missbraucht wird."
Die GfbV wird sich heute an die Europäische Kommission, die
Außenministerien aller EU-Staaten, die Fraktionen des
Europaparlaments sowie den Europarat wenden mit dem dringenden
Appell, eine gemeinsame Initiative in Ankara für den Schutz
der christlichen Bevölkerung und die Durchsetzung ihres
Rechtsstatus nach europäischem Vorbild zu unternehmen.
Aufgrund ihrer Verfolgung und Bedrohung ist der Anteil der
Christen an der Gesamtbevölkerung der Türkei von 25 %
im Jahr 1912 auf heute nur noch etwa 0,2 % gefallen. Ihre Zahl
wird auf höchstens noch 125.000 geschätzt. Ihre Kirchen
haben keinen eigenen Rechtsstatus, d.h. sie existieren vor dem
türkischen Gesetz nicht als eigenständige
Körperschaften und sind so auch nicht rechtsfähig. Der
Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche, Oberhaupt und
höchster geistlicher Würdenträger von 300
Millionen Menschen weltweit, Bartholomäus I., darf seinen
Titel Ökumenischer Patriarch in der Türkei nicht
tragen. Seit 1970 dürfen die christlichen Kirchen dort
keinen Priesternachwuchs mehr ausbilden. Arbeits- und
Aufenthaltsgenehmigungen für armenische und
griechisch-orthodoxe Geistliche nichttürkischer
Staatszugehörigkeit werden grundsätzlich nicht erteilt.
Auch andere ausländische Priester können die
türkische Staatsbürgerschaft nicht erwerben und
müssen eine tägliche Aufenthaltstaxe zahlen. Die Zahl
der kirchlichen Immobilien ist seit den 30- er Jahren von 4000
auch 460 gesunken, kirchlicher Besitz wird häufig enteignet
und kann nur in Ausnahmefällen neu erworben werden.
Als besonders bedenklich bezeichnete Zülch die
Instrumentalisierung des sunnitischen Islams durch den
türkischen Staat seit der Zeit Kemal Atatürks.
Anhänger der schiitischen Glaubensrichtung seien zahlreichen
Repressionen ausgesetzt. Das Präsidium für
Religionsangelegenheiten in Ankara, Diyanet Isleri Baskanligi,
steuere den "sunnitischen Staatsislam" unter anderem durch die
Führung der Islamausbildung und die Bestimmung des Inhalts
der Freitagspredigten in türkisch-sunnitischen Moscheen
europaweit.