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Hagia Sophia in Istanbul: Enttäuschung für Christen im Nahen Osten

Westliche Reaktionen auf Hagia Sophia-Entscheidung unzureichend

Bozen, Göttingen, 15. Juli 2020

Hagia Sophia in Istanbul. Foto: Arild Vågen, CC BY-SA 3.0. Hagia Sophia in Istanbul. Foto: Arild Vågen, CC BY-SA 3.0.

Das Vorhaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln, empfinden christliche Minderheiten im Nahen Osten als Angriff auf ihre religiösen Rechte und als hinderlich für das friedliche Miteinander. Von den zögerlichen Reaktionen westlicher Regierungen und Kirchen auf diese aggressive Islamisierungspolitik sind sie zusätzlich enttäuscht. "Der Westen schütze und stütze die Politik der Türkei gegenüber der schwindenden christlichen Minderheit im Land - dieses Gefühl äußern derzeit viele in den sozialen Medien im Nahen Osten", berichtet Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). "Schon im Osmanischen Reich kamen christliche Gläubige unter die Räder, wenn der Westen die Türkei als Bollwerk gegen diese oder jene Macht weiter im Osten brauchte. Der Eindruck, dass sich daran wenig geändert habe, ist sehr verbreitet."

Manche würfen Erdogan gar vor, die Praktiken des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) mit anderen Mitteln fortzusetzen: "Auch der IS versuchte schließlich, in der nordirakischen Metropole Mossul oder in der syrischen Stadt Raqqa, christliche Kirchen in Moscheen umzuwandeln", erinnert Sido. Aamir Jamil Findikli, Historiker aus Mossul, bezeichnete die Hagia Sophia-Entscheidung der Türkei jüngst als eine Fortsetzung dessen, was seit Jahrhunderten geschieht. Der gleiche Trend ließe sich auch in der Ninive-Ebene, nördlich und westlich von Mossul, beobachten. "Christliche, yezidische und andere Minderheiten wurden im Sommer 2014 massenweise von dort vertrieben", so Sido. "Das geschah unter den Augen des türkischen Militärs. Die Türkei unterstützte oder duldete die Angriffe des IS auf diese Minderheiten und auch auf kurdische Muslime, die das islamische Scharia-Recht ablehnen."

"Die heilige Sophia war ein Symbol unserer reichen Geschichte und eine großartige Kuppel für uns alle", schrieb der armenische Parlamentarier Garo Paylan von der prokurdischen Partei HDP vor einigen Tagen bei Facebook. Paylan kritisiert immer wieder die Leugnung des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich und wurde deshalb schon mehrfach tätlich angegriffen. Nationalistischen Kräfte versuchen bereits, seine parlamentarische Immunität aufzuheben. Er soll im Gefängnis verschwinden, wie viele andere demokratisch gewählte Oppositionelle auch.

Während Erdogan sich als Schutzpatron der muslimischen Sunniten verkaufen wolle, versuche sich der russische Präsident Vladimir Putin als Retter der orthodoxen Christenheit darzustellen. "In Wirklichkeit arbeiten die beiden auf vielen Gebieten zusammen, zum Beispiel gegen kurdische Kräfte in Nordsyrien. Beide Machthaber missbrauchen die Religion, um ihre geopolitischen Ziele durchzusetzen. Die NATO-Staaten, insbesondere die Bundesrepublik, dürfen diese Politik nicht länger durch ihr demonstratives Schweigen unterstützen", findet Sido.