Bozen, Göttingen, 7. März 2006
Ein Jahr nach dem Mord an dem letzten frei gewählten
Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, am 08.
März 2005 zieht die Gesellschaft für bedrohte
Völker eine niederschmetternde Bilanz: Für die
tschetschenische Zivilbevölkerung ist die
Menschenrechtssituation unerträglich. Sie wird zwischen
allen Fronten zerrieben, da sie dem Terror der russischen Armee,
des russischen Geheimdienstes, die Todesschwadronen des
prorussischen tschetschenischen Premierministers Ramzan Kadyrow
und radikalisierter tschetschenischer Islamisten schutzlos
ausgeliefert ist. Auch die internationale islamistische Szene
gewinnt in Tschetschenien an Einfluss. Das Leben der Zivilisten
ist geprägt von einer Atmosphäre der ständigen
Angst vor Verschleppung. Folter, Vergewaltigung und Mord.
Zusätzlich leidet sie unter katastrophalen humanitären
und ökologischen Bedingungen. Durch die Kriege 1994-1996 und
1999 bis heute ist bis zu einem Viertel des knapp eine Million
umfassenden tschetschenischen Volkes ums Leben gekommen. Für
die Überlebenden ist eine politische Lösung des
Konfliktes in weite Ferne gerückt.
Aslan Maschadow hatte sich seit seiner Wahl am 27.1.1997, die
von OSZE-Beobachtern als fair beurteilt worden war, für eine
politische Lösung des Tschetschenienkonfliktes eingesetzt.
Diese wurde dann im Frieden von Chasavjurt mit dem damaligen
russischen Präsidenten Boris Jelzin ausgearbeitet. Auch als
der zweite Krieg in Tschetschenien 1999 begann, setzte Maschadow
auf eine gemäßigte politische Lösung. Daran hatte
Wladimir Putin jedoch kein Interesse, der auf der Woge des
Tschetschenienkrieges an die Macht gekommen war. Maschadow hatte
immer wieder versucht, die islamistischen Kräfte in
Tschetschenien in den Griff zu bekommen und Unterstützung
aus Europa erbeten. Er hatte sich gegen Terrorakte gewandt und
sich verhandlungsbereit gezeigt. Seit der Ermordung von Maschadow
radikalisierte sich die tschetschenische Führung unter
seinem Nachfolger Abdul Khamit Sadulaev. Verbrecher wie der
Terrorist Schamil Basajew haben an Einfluss gewonnen. Es fanden
interne Auseinandersetzungen zwischen Gemäßigten und
Radikalen statt, in denen die Vertreter der Islamisten die
Oberhand bekamen. Mit Maschadow hat sich Russland des einzigen
politischen Verhandlungspartners entledigt.
Die russische Regierung hat mittlerweile alle wichtigen
politischen Positionen in Tschetschenien mit
kollaborationswilligen Tschetschenen besetzt. Ramzan Kadyrow, der
29-jährige Regierungschef, ist seit dem Mord an seinem
Vater, dem pro-russischen Präsidenten Achmad Kadyrow Moskaus
starker Mann in Grosny. Er befehligt eine Leibgarde aus bis zu
5.000 Mann, die für mindestens zwei Drittel der
Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien verantwortlich ist.
Kadyrow ist ein Kriegsverbrecher, der sich selbst an der
Folterung und Ermordung von Zivilisten beteiligt hat. Er und
seine Schergen verbreiten in Tschetschenien Angst und Schrecken.
Als Todesschwadronen verschleppen sie Nacht für Nacht
Zivilisten, sperren diese in Folterkeller, morden und
vergewaltigen.