Bozen, Göttingen, Leipzig, 20. Oktober 2006
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) fordert
die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet am Freitag in
Leipzig dazu auf, vier inhaftierte Mapuche umgehend freizulassen.
In einem von der GfbV- Regionalgruppe Leipzig persönlich
überreichten Schreiben kritisiert die
Menschenrechtsorganisation das so genannte Anti-Terrorismusgesetz
(Gesetz Nr. 18.314), aufgrund dessen die Mapuche zu
ungewöhnlich hohen Haft- und Geldstrafen verurteilt wurden
und das noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammt. Dieses
Gesetz mache Mapuche zu Terroristen, die mit Mitteln des zivilen
Ungehorsams um ihre Landrechte kämpfen. Während der
Prozesse seien sogar "anonyme" Zeugen zugelassen, die die
Verteidigung nicht kennt und deren Aussagen nicht geprüft
werden können.
Die vier politischen Gefangenen Patricia Troncoso Robles (36),
Patricio Marileo Saravia (31), Jaime Marileo Saravia (27) und
Juan Carlos Huenulao Lienmil (39) müssen Haftstrafen von
mehr als zehn Jahren verbüßen und hohe Geldstrafen von
mehr als 400 Millionen chilenischen Pesos (ca. 620.000 Euro)
zahlen. Sie hatten an einer Landbesetzung teilgenommen, bei der
auch ein landwirtschaftliches Fahrzeug in Brand gesetzt
wurde.
"Präsidentin Bachelet bemüht sich um eine Aufarbeitung
der dunklen Kapitel der jüngeren chilenischen Geschichte.
Wir appellieren deshalb umso dringender an sie, dieses
Anti-Terrorismus-Gesetz endlich abzuschaffen. Es ist einer
Demokratie nicht würdig", meint die GfbV. Das Gesetz Nr.
18.314 kriminalisiere Mapuche, weil sie die Rückgabe ihres
geraubten Landes einfordern. Mapuche-Bürgerrechtler
beklagen, dass sie schon allein deshalb wegen Terrorismus
angeklagt werden können, weil sie auf die Enteignung ihrer
Ländereien unter der Pinochet-Diktator zum Beispiel mit
friedlichen Protestmärschen oder Kundgebungen aufmerksam
machen. Die Besetzung von Waldgebieten der Mapuche, die heute als
Holzplantagen für die Zellstoffindustrie genutzt werden,
oder die Blockade von Zufahrtsstraßen zu den von
Forstkonzernen genutzten Flächen könnten ebenfalls zur
Anklage auf Grundlage des Antiterrorismus-Gesetzes führen.
Terroristische Brandstiftung gegen Fahrzeuge, Maschinen oder
Holzstapel sind dann die üblichen Anklagepunkte.
Die Anwendung dieses Gesetzes gegen Mapuche-Führer, die sich
gegen den Raub ihres Landes einsetzen, hat auch Rodolfo
Stavenhagen, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen
für indigene Angelegenheiten, scharf kritisiert. Er hatte
die chilenische Regierung 2003 aufgefordert, sie solle endlich
Maßnahmen ergreifen, damit das Volk der Mapuche wegen seine
legitimen Proteste gegen Landraub und sozialer Benachteiligung
nicht kriminalisiert werde. Die Mapuche stellen mit rund 1,3
Millionen Angehörigen etwa zehn Prozent der
Gesamtbevölkerung Chiles.