Bozen, Göttingen, 22. September 2006
Der französische Staatspräsident Chirac und die
deutsche Bundeskanzlerin Merkel sollen bei ihren morgigen
Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir
Putin in Frankreich die katastrophale Menschenrechtslage in
Tschetschenien ansprechen. In einem Schreiben weist die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) auf die
beängstigende Situation der tschetschenischen
Zivilbevölkerung hin. Merkel und Chirac sollen Putin dazu
drängen, den tschetschenischen Premierminister Ramzan
Kadyrow nicht länger zu protegieren. Dessen Milizen sind
für einen Großteil der schweren
Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Russische und
tschetschenische Machthaber behaupteten zwar, die Lage in
Tschetschenien habe sich stabilisiert. Doch die Fakten sprechen
dagegen: Nach Angaben der Organisation Memorial - die allerdings
nur etwa ein Viertel des Gebietes von Tschetschenien beobachten
kann - wurden in den ersten Monaten 2006 47 Menschen in
Tschetschenien getötet, die meisten davon Zivilisten.
Nahezu täglich werden Zivilisten entführt.
Auskünfte über die Umstände der Verschleppungen
sind nur noch schwer zu bekommen, da die Verwandten von
Vermissten immer häufiger versuchen, die Freilassung ihrer
Angehörigen über eigene Kontakte zu Miliz, Geheimdienst
oder Militär zu erreichen. Seit dem Amtsantritt von Ramsan
Kadyrow 2004 hat die Verfolgung von Angehörigen
mutmaßlicher tschetschenischer Kämpfer stark
zugenommen. Oftmals werden Angehörige auch in Sippenhaft
genommen und als Geiseln "benutzt". Familien, die über etwas
Vermögen verfügen, werden von örtlichen Milizen
und Behörden verfolgt, Angehörige entführt, um
Geld zu erpressen. Weiter gefährdet sind ehemalige
Militärs und Milizionäre, die unter ständiger
Bewachung stehen und die selbst oder deren
Familienangehörige immer wieder Opfer von Verhaftung
werden.
Fast immer gingen die Täter straflos aus. Nach Angaben der
tschetschenischen Staatsanwaltschaft wurden seit 1999 bis zum 1.
April 2006 1.949 Strafverfahren wegen Entführung
eingeleitet. 1.697 Fälle wurden eingestellt, weil sich
angeblich die Identität der Entführer nicht feststellen
ließ. Die 200.000 Binnenflüchtlinge in Tschetschenien
können medizinisch nicht versorgt werden. Viele ihrer Kinder
können aufgrund zu weiter und gefährlicher Wege nicht
zur Schule gehen. Es fehlt an Lehrmaterial und Schulbüchern.
Am 13. Juli 2006 erklärte der stellvertretende Direktor des
Welternährungsprogramms der UNO in Russland, Korjun
Alaverdjan, die für die tschetschenischen Vertriebenen
bereitgestellten Lebensmittel reichen nur noch drei Monate. Die
WHO benötigt 22 Millionen US-Dollar, um 250.000
Tschetschenen mit dringend benötigter Nahrung zu versorgen.
Knapp ein Drittel dieser Mittel sind bislang eingetrieben
worden.