Bozen, Göttingen, 20. Juni 2006
Ein dringender Hilferuf hat die Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) am Dienstag aus Tschetschenien erreicht. "Am
17. Juni wurde mein Verwandter Timur Gaew in der Stadt
Urus-Martan verschleppt. Er stand an einer Bushaltestelle, als
russische Sicherheitskräfte kamen und ihn mitnahmen. Er ist
27 Jahre alt, Vater von zwei Kindern. Ihm wird vorgeworfen, der
"Emir des Dschaamats Grosny" zu sein", berichtete die
Menschenrechtlerin und Trägerin des Lew-Kopelew-Preises,
Zainap Gaschajewa, der GfbV telephonisch. "Timur Gaew wurde mit
Schlagstöcken und Schläuchen gefoltert und geschlagen.
Um zu verhindern, dass er schon jetzt stirbt, haben ihn die
Täter selbst in ein Krankenhaus gebracht. Dort wird er rund
um die Uhr bewacht. Er hat weder im ersten noch im zweiten
Tschetschenienkrieg an den Kämpfen teilgenommen und ist
vollkommen unschuldig." Gaschajewa fürchtet, dass ihr
Verwandter getötet wird.
In den Tagen vor und nach dem politisch motivierten Mord an dem
tschetschenischen Führer Abdul Chalim Sadulaew am
vergangenen Sonnabend sei eine große Zahl so genannter
Säuberungen in allen Gebieten Tschetscheniens registriert
worden, berichtete Gaschajewa. Schon am Freitag war die GfbV von
dem Menschenrechtsverteidiger Imran Eschiew darüber
informiert worden, dass fünf junge Männer aus dem Ort
Serschen Jurt in der Region Schali verschleppt worden waren: die
Brüder Ilias (23) und Islam (21) Chartsuew, ihr Cousin Abdul
Chartsuew (20), Aschada Dedigow (20) sowie Islam Suleimanow (20).
In zehn Militärfahrzeugen seien Einheiten von Ramzan Kadyrow
in das Dorf gekommen. Als die Mütter der Opfer versuchten,
ihre Söhne zu schützen, hätten die Männer in
Tarnanzügen sie geschlagen und bedroht.
Die GfbV wirft dem von Russland eingesetzten tschetschenischen
"Ministerpräsidenten" Kadyrow vor, für zahlreiche
Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein. Seine Einheiten sollen
an der Ermordung von Sadulaew, dem Nachfolger des letzten frei
gewählten tschetschenischen Präsidenten Aslan
Maschadow, beteiligt gewesen sein.