Bozen, Göttingen, Den Haag, 24. November 2004
Die Regierungschefs der Europäischen Union sollen den
russischen Präsidenten Wladimir Putin auf ihrem
Gipfeltreffen in Den Haag am Donnerstag dringend dazu auffordern,
die UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des
Völkermordes zu respektieren. Diese Forderung hat die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Mittwoch in
Schreiben an alle EU- Regierungen erhoben. "Es ist
unerträglich, dass Russland diese Konvention täglich in
Tschetschenien verletzt, ohne dass die europäischen Staaten
sich darüber empören", erklärte der Präsident
der GfbV International, Tilman Zülch. Während die GfbV
und andere Menschenrechtsorganisationen von mindestens 160.000
ganz überwiegend zivilen Opfern der beiden
Tschetschenienkriege ausgehen, schätzt der zweifellos wohl
informierte prorussische Vorsitzende des tschetschenischen
Staatsrates, Taus Djabrailow, die Zahl der Opfer inzwischen auf
mehr als 200.000 seit 1994.
Die permanente Missachtung der Genozid-Konvention wird nach
Auffassung der GfbV auch durch die Weigerung der russischen
Justiz deutlich, Menschenrechtsverletzungen von Militär und
Geheimdienst zu ahnden. Allein das Büro des
Sonderbeauftragten für Menschenrechte in Tschetschenien hat
von Januar 2003 bis Januar 2004 nach Angaben des Europarates 1799
Beschwerden erhalten, die in 547 Fällen Vermisste betrafen.
71 Beschwerden wurden an den zuständigen
Militärstaatsanwalt und 554 an den zivilen Staatsanwalt
weitergeleitet. Im Jahr 2003 registrierte der
Militärstaatsanwalt insgesamt 799 Beschwerden, von denen 367
Entführungen oder willkürliche Verhaftungen von
insgesamt 496 Bürgern zum Inhalt hatten. Nur in zehn dieser
Fälle wurden Strafverfahren eingeleitet, von denen dann drei
vor Gericht kamen. 4763 Klagen erreichten 2003 den zivilen
Staatsanwalt. 419 Strafverfahren wurden angestrengt, 15 vor
Gericht gebracht.
"Wie in Russland mit dem Völkerrecht umgegangen wird,
kristallisiert sich deutlich im Umgang von Behörden und
Sicherheitskräften mit Menschenrechtlern", erklärte die
GfbV. Mindestens 13 Menschenrechtler wurden seit 1999 ermordet,
sechs weitere sind verschwunden. 19 wurden gefoltert oder
geschlagen, 19 weitere willkürlich verhaftet.