Bozen, Göttingen, 27. August 2008
GfbV Menschenrechtsaktion. Foto: GfbV.
Gegen die muslimischen Uiguren im Nordwesten Chinas rollt nach
Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker
(GfbV) eine neue Verhaftungswelle. Sippenhaft sei an der
Tagesordnung und auch Kinder würden festgenommen. "Rund 150
Kinder werden seit Tagen im Gefängnis Ba Jia Hu in der
Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang festgehalten, weil sie
am Islamunterricht teilgenommen haben", berichtete der GfbV-
Asienreferent Ulrich Delius am Mittwoch in Göttingen. Mehr
als 1.000 Uiguren seien seit Beginn der Olympischen Spiele in den
Städten Kashi (uigurisch: Kashgar) und Kuqa (uigurisch:
Kucha) verhaftet worden. Dort hatten Uiguren im August drei
Anschläge verübt, bei denen 29 Menschen getötet
worden waren, unter ihnen zwölf Angreifer. Die GfbV hatte
vor einer neuen Welle der Gewalt in Xinjiang und vor einer
Zunahme der Verfolgung von Uiguren gewarnt.
Den 150 gefangenen Kindern im Alter von acht bis 14 Jahren droht
nach GfbV-Angaben eine Strafe wegen "illegaler religiöser
Aktivitäten". Sie waren von ihren Eltern in Siedlungsgebiete
der muslimischen Minderheit der Hui in Nachbarprovinzen gesandt
worden, um dort Koranschulen zu besuchen. Dies ist gängige
Praxis unter Uiguren, da der Islamunterricht in Xinjiang /
Ostturkestan von den chinesischen Behörden verboten wurde.
Nur zehn der ursprünglich 160 festgehaltenen Kinder seien
freigekommen, weil ihre Eltern die Summe von mehr als 2.000 Euro
für ihre Auslösung aufbringen konnten.
Besonders hart treffe die Verhaftungswelle Angehörige der an
den Anschlägen beteiligten Uiguren. So seien nicht nur die
Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern des bei dem
Überfall in Kucha am 10. August getöteten Ehmetjan
Tohti festgenommen worden. Auch die 30 Angestellten des von
seiner älteren Schwester betriebenen Supermarktes seien in
Haft. Nur seine jüngere Schwester sei inzwischen wieder
freigekommen. Das zehn Monate alte Baby des 24-Jährigen und
seiner ebenfalls bei dem Überfall beteiligten und
getöteten Ehefrau Bumeryem sei von Polizisten abgeholt
worden. Über den Verbleib des Kindes werde jede Auskunft
verweigert.
In der Umgebung der 400.000 Einwohner zählenden Stadt Kucha
seien mehrere Internierungszentren eingerichtet worden, in die
Verhaftete gebracht würden, berichteten Augenzeugen. Die
Bewegungsfreiheit der uigurischen Einwohner sei nach den
Anschlägen stark eingeschränkt worden. Wer die Stadt
verlassen wolle, müsse fünf bis sechs
Straßensperren passieren. Polizisten kontrollierten alle
Besucher der Moschee. Der Imam Adil Qarim sei verhaftet und
letzte Woche zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt
worden, weil einer der Attentäter zum Gebet in seine Moschee
gekommen sein soll.